Folge auf Spotify // Zeitangaben entsprechend
Triggerwarnung: extreme Gewalt, Vergewaltigung, Femizid, Stalking
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Es gibt mehr Crime-Stories-HörerInnen als für den Zart&Bitter-Labertalk. Und das, obwohl Stephan ein Semi-Crime-Experte ist! Bitte gerne auch mal in die anderen Talk-Folgen reinhören! // Es gibt ja Personen, die fachlich viel mehr in der Lage wären, einen eigenen Crime-Podcast zu machen, wie zum Beispiel Jule Sommer, die aber einfach nochmal als Gästin kommt! // Jule arbeitet aktuell an einer mehrteiligen Doku-Serie für den WDR und dieser Fall wird in der Folge besprochen. //
Es geht um den Mord an Anna S., die mit 35 Jahren am 23.6.2019 in Krefeld ermordet wurde und deren Leiche nicht auffindbar war*. Trotzdem ist klar, wer der Täter ist, da es Video- und Bildmaterial zur Tat gibt. // Bereits am Tag nach der Tat wird die Wohnung des Mörders durchsucht. Das schnelle Reagieren der Behörden ist dem (auch räumlich) engen Verhältnis der Verstorbenen zu ihrer Familie geschuldet, mit der sie sich am 22.6. für den nächsten Tag verabredet hatte und nicht aufgetaucht war. Anna reagierte zunächst nicht auf Nachrichten und meldete sich schließlich inhaltlich auffallend komisch. // Bei der Polizei wurden die Sorgen nicht ernst genommen. Aber: Annas Hunde waren allein in der Wohnung, die Ersatz-Schlüssel der Familie passten plötzlich nicht mehr. Später stellt sich raus, dass der Täter die Hunde zurückgebracht hatte und dann die Schlösser getauscht hat. // Die Polizei Gelsenkirchen reagiert schnell bei einer erneuten Vermisstenmeldung in Bottrop, da auffällt, dass es sich um die gleiche Adresse eines vergangenen Brandfalls aus 2018 handelte. Den Brand hatte damals der Täter gelegt, aber das ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht sicher. //
21:30 //
Annas Wohnung wird durchsucht. Man geht immer noch davon aus, dass sie vielleicht auch freiwillig verschwunden ist. Es gab Briefe, in denen Anna bezichtigt wurde, den Brand selbst gelegt zu haben. Aufgrund eines linguistischen Gutachtens und entsprechenden Auffälligkeiten konnten diese später zugeordnet werden. // Die Behörden lassen nicht locker und durchsuchen mehrmals die Wohnung des Ex-Freundes. Man findet erst mal nichts, aber Leichenspürhunde schlagen an, nach einer gewissen Zeit wird auf Datenträgern belastendes Material gefunden. // Ein Video zeigt die tote Anna, an der sich der Täter in seiner Wohnung „abarbeitet“. Man stelle sich die mehrfache Vorführung des Videos im Gerichtssaal später vor. Besonders beeindruckend das Plädoyer der Staatsanwältin in der Verhandlung. Die Verurteilung des teilnahmslosen Michael S. zu lebenslanger Haft mit schwerer Schuld und anschließender Sicherheitsverwahrung erscheint angemessen, es gibt auch entsprechende psychiatrische Gutachten, die die ersten Gutachten von vor 1999 in Bezug auf Egozentrismus und Empathielosigkeit bestätigen. //
Im Verlauf des Prozesses meldete sich eine Anwältin, die darauf hinwies, dass es noch ein weiteres laufendes Verfahren gegen Michael S. mit einer Überlebenden Sissy gibt. //
42:00 //
Es gibt einige Fragezeichen in Bezug auf die Arbeit der Polizei, besonders mit Blick auf die Verurteilung des Angriffs auf Sissy, bei dem davon ausgegangen wird, dass dieser mit Tötungsabsicht erfolgte. Bei der Polizei wurd die Anzeige nicht richtig ernst genommen. Es wurden keine Fotos angefertigt, angeblich, weil bereits ein Krankenhausbericht vorlag. Da es sich nicht um keine Vergewaltigung handelte, sah man keinen Handlungsbedarf. // Durch Berufung tritt der Täter die Haft erst mal nicht an. Das Verfahren zieht sich über Jahre — obwohl er schon mal elf Jahre in Haft war, weil er seine Ex-Freundin mit über 120 Messerstichen ermordert hatte. // Wie kann es sein, dass bürokratische Mühlen so langsam mahlen? Zumal eine weitere Frau wieder an der Adresse des Täters tot aufgefunden wurde? Die vorher noch vergewaltigt wurde und das zur Anzeige gebracht hatte? //
1:03:30 //
Der Täter hatte ein auffallend enges Verhältnis zu seiner sehr dominanten Mutter, in deren Hotel er lebt. Ein Gutachter stellt während der Haftstrafe nach der ersten Tat fest, dass er in sehr starker Abhängigkeit zu seiner Mutter sei, kein Schuldgefühl verspüre und keine vorzeitige Entlassung möglich sei. // Bei einer Durchsuchung fand man weitere Gegenstände, die nicht den ermordeten Frauen gehörten. Diese und ein dunkles Foto lassen weitere Taten vermuten. //
Anna S. lernt den Täter über eine Datingplattform kennen. Er gibt sich als gutsituierter Typ aus. Erfindet eine reiche Tante, fälscht einen Scheck über mehrere hunderttausend Euro. Als Anna die Beziehung beendet, beginnt er, sie zu stalken, versucht, sie mit denunzierenden Briefen von ihrer Familie zu isolieren, installiert eine Überwachungskamera bei ihr zuhause, legt Feuer. Mit verschiedenen Handys gibt er sich als mehrere Personen aus, droht mit Suizid. //
1:22:30 //
Gibt es eine These, warum der Täter sich irgendwann von Sexarbeiterinnen abgewandt hat? Kurioserweise hatte der Mann weitere Beziehungen mit Frauen, die noch leben. Da müssen die Trennungen irgendwie anders abgelaufen sein. // Chats und teilweise grausamste Suchmaschinenanfragen konnten über Jahre zurück und die Taten somit bis fast auf die Minuten rekonstruiert werden. // Es gibt verschiedene Hinweise zum Verschwinden der Leiche von Anna S. – man spekuliert über ein Feld, Müllverbrennungsanlage, Einbetonierung. Nach Überführung des Täters ist es nicht mehr Aufgabe der Polizei, die Leiche zu finden. Es werden zwar noch Materialien gesichtet und Hinweise verfolgt, aber nicht mehr proaktiv nach Anna S. gesucht. // Warum sagt der Täter nicht, wo die Leiche ist? Wahrscheinlich genießt er das letzte Quentchen an absoluter Kontrolle. Beklemmend die Vorstellung, dass der Täter offensichtlich ein extrem guter Schauspieler sein muss, er wird fast durchweg als netter, hilfsbereiter Typ beschrieben. // Jule beschreibt die Arbeit an der Doku als beänstigend: Sie wird bedroht, hat schlaflose Nächte, wird beim Filmen des Hotels der Mutter gehindert. Es ist davon auszugehen, dass Michael S. gegebenenfalls weiter töten würde. Ein Gutachter bescheinigt als einzige Hemmung an weiteren Taten lediglich die potentielle Verhaftung danach. //
1:42:35 //
Wie kam es denn zu der Doku? Jule Sommer wollte den Opfern ein Gesicht, eine Stimme geben, hat mit vielen Angehörigen, ErmittlerInnen, GutachterInnen gesprochen. Sogar teilweise Akteneinsicht war möglich. Das war spannend, aber auch belastend. Gespräche mit dem Täter wurden abgelehnt. Wäre vielleicht auch schwierig für ihn, mit einer Frau zu sprechen, über deren Output in Bezug auf die Taten man keine Kontrolle hat. // Wenn der Film fertig ist, kann Jule das Thema oft gut ablegen. In diesem Fall vielleicht schwierig, da die Leiche von Anna bisher nicht gefunden wurde*. // Schwierig, die Vorstellung, wie anstrengend es für die Ermittelnden bei Sichtung der Videos gewesen sein muss, alle Details zu erfassen und professionell zu bleiben. //
Den Fall zu besprechen war interessant, aber auch drastisch. // Toll, dass Jule sich Zeit genommen hat! Vielleicht kann man noch einen kleinen Spin-Off zu dem Fall machen? // Es gibt noch ein kleines Wrap-Up zu der Anwältin, die Sissy vertreten hat und sich besonders für ihre Klientin engagiert hat. //
Outro,
danke und alles Liebe, wir hören! //
*[Anm. d. Red: Die Folge wurde am 23.10.21 aufgezeichnet und korrespondierend zur Veröffentlichung der 4-teiligen Doku im Februar 22 veröffentlicht. Am 14.3.22 wurden die sterblichen Überreste von Anna S. im Haus des Täters gefunden.]